Mantra und Japa

Die Bedeutung der mantra-Praxis für den tantrischen Weg ist schwerlich zu überschätzen. Das Mantra ist technisch das Hauptwerkzeug der Tantras, ca. 60% der Textstellen beschäftigen sich damit . Im buddhistischen Tantra ist diese identifikation so groß, dass es auch Mantrayana, Mantra-Fahrzeug, genannt wird.

Die Anwendung von Zaubersprüchen ist wahrscheinlich schon  schamanischen Ursprungs. Nach Eliade ist die Nutzung von Mantras eine ausgesprochen archaische spirituelle Technik, ähnlich wie bei den Ekstasen mancher Schamanen eine Geheimsprache entsteht.

Die Verwendung von Mantras ist schon zur Zeit der Veden und Upanishaden als rituelle Formel gebräuchlich. Im traditionellen Tantra wurde das Rezitieren von Mantras dann zur zentralen spirituellen Technik, gilt dort als zentrales Mittel zur Befreiung.

Was ist ein Mantra?

Das Mantra ist eine Silbe oder eine Folge von Silben mit „magischer“ Ladung. Ein Mantra ist wirksam vor allem in Verbindung mit einer bestimmten Tradition und hat aus tantrischer Sicht die höchste magische Kraft, wenn es direkt vom Guru auf den Schüler Mund zu Ohr übertragen wird. 
Das persönliche Mantra ist nach außen geheim zu halten und bis ins Grab mitzunehmen.

 Die Mantras SIND für die Tantriker das, was sie bezeichnen – indem der Sadhaka das Bija-Mantra eines Gottes ausspricht, nimmt er nach und nach dessen Eigenschaften an. Ein Mantra ist quasi wie ein Same, aus dem der Baum hervorgeht 

Zwischen Mantra und Ikonographie besteht eine vollkommene Korrespondenz – jeder Heiligkeitsstufe entspricht ein bestimmtes Bild, eine Farbe und ein Buchstabe. Durch Meditation auf Farbe oder Buchstabe dringt man in die entsprechende Seinsweise ein, verkörpert dadurch einen yogischen Zustand bzw. eine Gottheit . Im Buddhismus eignet man sich durch Rezitieren ganze Metaphysiken an.

Durch das Mantra wird das Bewusstsein auf einen Punkt konzentriert und kann wie ein Pfeil Ebenen unserer Existenz durchdringen. Die nach außen gerichteten und zerstreuten Ströme werden zu einem Punkt gesammelt.

Einteilung der Mantras

Zweckmäßig erscheint erstmal eine Einteilung in Dharani und Bija-Mantras. Dharanis sind Zitate aus Schriften, kurz und vollständig, z.B. Gayatris u.a.
Bijas hingegen haben meistens keine literarische Bedeutung, sondern sind Verdichtungen bestimmter Worte

Das Bija ist der Keim des Mantra , z.B. krim für Kali, ram für Feuer, klim für Kama, shrim für lakshmi (Shri lakshmi), ram= Agni, Feuer, vam= Wasser, hrim= Göttin in friedlicher Form.
Viele bija werden aus den ersten beiden Buchstaben der Gottheit und einem m gebildet: gam= Ganesha, dum= Durga
Bijas haben die Kraft, eine ganze Lehre keimhaft zu enthalten, die sich beim japa dann enthüllt.

Beispiele für Mantras

Bijas: Aim (Saraswati); Shrim (Lakshmi);Hrim (Mahamaya); Krim (Kali); Shyam (Krishna).

Shiva
Om Namah Shivaya (Panchakshara Mantra)

Vishnu
Om Namo Narayanaya (Ashtakshara Mantra)

Krishna

Hare Krishna Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama, Rama Rama Hare Hare

Om Namo Bhagavate Vasudevaya

Ehemantra
Sita Ram; Radhe Shyam; Radhe Krishna

Kali
Om Shri Kalikayai Namah
Gayatri Mantra

Om Bhur Bhuvah Svaha
Tat Savitur Varenyam
Bhargo Devasya Dhimahi
Dhiyo Yo Nah Prachodayat

Die Rezitation

Die Kraft eines Mantra liegt in seinem Muster von Klangwellen und in der Art des richtigen Intonierens. Die korrekte phonetische Aussprache muss gewährleistet sein.
Letzterem Satz kann insofern widersprochen werden, als in Tibet die ursprünglichen Sanskrit-Mantras zuweilen groteske Veränderungen in der Aussprache erfahren haben. Dennoch scheint die Verwirklichung bestimmter tibetischer Meister bar jeden Zweifels zu sein.
Dabei ist die Rezitation des Mantra verbunden mit Gesten und mannigfaltigen Visualisierungen . Dies könne die Wirkung des Mantras erhöhen oder gar erst ermöglichen.

Mantras werden in vielen Traditionen schnell und laut wiederholt (japa), eine Mala, in der Regel mit 108 Perlen, dient als Zählmittel.
Japa heißt, dass der Klang, die rhythmischen Wiederholungen und die symbolische Bedeutung des Klanges gleichzeitig realisiert werden.
Wenn man die Mantra innerlich wiederholt, heißt das ajapa japa – dadurch kann die Wirkung noch stärker ins Unbewusste gehen.

Traditionell sind vier Stadien der Lautenwicklung beschrieben worden : 1.unmanifestierter Laut, 2. manifestierender Laut, 3. leuchtender eingeschlossener Laut, 4. geschlossener Laut, der auch Form hat.
Daher sind bei der Rezitation 3 Wiederholungen des Mantra wirksam: 1. ein Laut wird laut geäußert, 2. Laut wird kaum hörbar geflüstert, 3. der Laut wird stumm im Geist wiederholt (am stärksten).
Am Anfang ist es wichtig, dass die Chakras mit den Mantras schwingen können, daher die laute Aussprache. Mit zunehmender Praxis sollte das Mantra dann „einwärts gezogen“ werden, wo es die Psyche stärkt und den Geist mit dem Ganzen vereinigt.


Yantra

Ein Yantra ist ein geometrisches abstraktes Diagramm mit verschiedenen Elementen, Silben und Mantras, in der Mitte der Bindu, der konzentrierten Form darstellt. Des Öfteren wird im tantrischen Zusammenhang gesagt, ein Yantra sei die geometrische Form eines Mantra.
Yantras werden im tantrischen Ritus oft auf den Boden gemalt.
Als Objekte der Meditation haben sie tiefen Einfluss und Wirkung

Das Individuum soll zum Universum werden, soll das in sich spüren, was durch das Mandala symbolisiert ist. Die mikro-makrokosmische Erfahrung hilft bei der Erweckung der schlafenden Energie

Yantra bedeutet übersetzt Hilfsmittel. Eine Übersetzungslinie lässt auch den Schluss „Maschine“ zu, ein Yantra als psychischer Dynamo, geradezu eine Meditationsmaschine.
Das Yantra versucht, den Raum zu gliedern mit maximaler Abstraktion, um so Prinzipien grösster Allgemeinheit zu vermitteln. Die Abstraktion eines Yantra überschreitet die konkrete Darstellungsebene und öffnet sich dem Universellen.
Das Yantra spricht direkt das archetypische Unbewusste an, welches beim Entschlüsseln hilft (AM)

Aufbau des Yantra:
Am Anfang geht es um einen Punkt, den Bindu: äußerste verdichtete Energie – die gesamte kosmische Energie.
Der Kreis steht für die zyklische Entwicklung des Sichtbarwerdens.
Der zentrale Punkt mit dem Umkreis symbolisiert auch Shiva-Shakti. Je geringer der radius, um so höher die Frequenz. Wenn es keinen Radius mehr gibt und Punkt und Umkreis eins geworden sind, haben sich Shiva und Shakti vereint.
Das Dreieck steht für den Geschlechtsaspekt der Energie, die Spitze nach oben bedeutet männliche, die Spitze nach unten weibliche Kraft.
Das Quadrat: stabil und fest, bildet es das Element Erde, die Kraft der Verdichtung und der Manifestation
Beim Yantra ist das Quadrat ein heiliger Bezirk, der durch 4 t-förmige Pforten, die Initiationsschwellen sind, zur Außenwelt geöffnet sind
Der Lotus: für den Tantriker eine Konzentrierung subtiler Energie, die Blüte ist auch die Yoni, das weibliche schöpferische Prinzip
Die vier Tore des Yantra stehen für die vier Himmelsrichtungen, symbolisch für die Verbindung des geheiligten Raums des Yantra zur Außenwelt.

Aus diesen Basiselementen setzen sich die meisten Yantras zusammen

Durch Visualisation und Integration kann das Yantra aufgenommen und verinnerlicht werden
Auch der menschliche Körper kann als kraftvolles Yantra verstanden werden – als physisches Substrat des Göttlichen, als Essenz der Meditation

Das Mandala

Ein Mandala ist eine im Tantra übliche und viel verwendete Kreisdarstellung von Göttern und Personen
Wie das Yantra ist auch das Mandala ein Bild des Universums und auch ein Aufnahmeplatz für die Gottheiten, die gewissermaßen in das Mandala hinabsteigen.

Historisch ist das Mandala die Stätte des heiligen und ein Raum des Schutzes vor zersetzenden Kräften. Dazu ist es ein Kosmogramm, eine allegorische Beschreibung der gesamten Welt. Wenn sich der Zelebrierende in die Mitte begibt, kann er sich mit den Kräften und Mächten identifizieren, die ihm zur Verfügung stehen.

Das Mandala ist auch so etwas wie der Grundriss eines Tempels oder Königspalastes, der von alters her, begonnen mit den babylonischen Zikkurats, auch einen magischen Raum der Herrlichkeit darstellte. Buddhistische Stupas, indische Tempelanlagen oder Königsschlösser, alle folgen dem Prinzip, dass sich der Herrscher oder Magier von außen, d.h. aus der Außenwelt, immer mehr in distinkten Stufen in die Mitte hineinarbeitet, wo er völlige Kontrolle über die Kräfte des Universums hat.
In der tantrisch-buddhistischen Mandala-Visualisation beschwört der Adept diejenige Gottheit mit Hilfe der Mantras aus seinem Herzen herauf, mit der er sich identifizieren will. Die heraufbeschworene bzw. niedergestiegene Gottheit tritt in der Mitte der Lotusblüte auf, die im Raum des Herzens entsteht.

Hinter dem Mandala stehen Intuitionen und Ideen, die auch in anderen Kulturen erscheinen, zuweilen sind sie wie Vorwegnahmen moderner Theorien. Der Psychologe C.G. Jung beschreibt das Mandala als archetypische Prägeform innerer Bilder, die kulturenübergreifend in ähnlicher Form auftreten, um gewissermaßen visionäres Material zu ordnen und auch hineinzu“zwingen“.
In Tibet ist das Zeichnen eines Mandala ein präzises und bis in kleinste Details festgelegtes Ritual.

Ein Mandala besteht formal aus einem äußeren Gürtel und einem oder mehreren konzentrischen Kreisen. Diese Umschließen ein Quadrat, das durch Diagonalen in vier rechtwinklige Dreiecke unterschiedlicher Farbe geteilt wird. In der Mitte jedes Dreiecks befinden sich Kreise mit Ensembles von Gottheiten.
Der äußere Kreis ist eine Feuerbarriere, die den Zugang von außen versperrt. Das Feuer steht für das wahre Wissen, das Ignoranz transformieren soll, Anschließend folgt der „Diamantengürtel“ als Symbol für die Erleuchtung, die, wenn einmal erfahren, unvergänglich ist wie ein Diamant. Oft folgt dann ein Kreis mit acht Friedhöfen, die für acht falsche Erfahrungsformen stehen. Diesen folgt ein Gürtel mit Lotusblättern, in deren Mitte dann erst das eigentliche Mandala eingezeichnet ist.
Die „Stadtmauern“ sind als t-förmige Tore um ein Quadrat eingezeichnet. Die Stadtmauern sind in 5 Farben mit vielfachen Verzierungen gemalt. Im Inneren dieser Stadt befindet sich das eigentliche Mandala: es ist geschützt durch eine Kette von Vajras und umgeben von Lotusblüten. Hier befinden sich die eigentlichen Gottheiten.
Dies ist die tibetische Ikonographie, die allerdings die Vorgaben der indischen Vorläufer 1:1 umsetzt.
In den Grundzügen gleicht das Mandala dem Yantra der hinduistischen schulen. Dies ist meist einfacher gehalten und stärker stilisiert, statt Göttern kommen Symbole vor. Es wird zum gleichen Zweck gebaut und hat denselben liturgischen Sinn.

Die Fünfer-Einteilung ist im Mandala sehr zentral. Die Figuren in der Mitte und die zu den vier Himmelsrichtungen hin bilden die 5-er-Gruppen, die für jedes Mandala bestimmend sind. Die indische Geistigkeit, angefangen mit der Samkhya-Lehre (Tucci) hat den Kosmos in Fünfergruppen eingeteilt: die fünf Elemente, die fünf Sinne, die fünf Farben, die fünf Körper etc. im Tantrischen Buddhismus begegnen uns die fünf Buddhas, die fünf Geistesgifte, die fünf Aggregate der Persönlichkeit. Das metaphysische Schema, dass sich in den fünf Dhyani-Buddhas in Vereinigung mit ihren Shaktis zeigt, ist ebenso in den kashmirischen Shiva-Schulen zu finden, es zeigt die 5 Aspekte der Ganzheit, bei den Shivaiten Paramashivam, bei dem Buddhisten Vajradhara genannt, in Vereinigung mit ihren Kräften oder Tätigkeitsaspekten, den fünf Shaktis oder fünf mudras.
An der Peripherie, an den Pforten, stehen die Bewacher der Pforten, Schützergottheiten, die furchterregend aussehen und schwer bewaffnet sind. Nach Tucci symbolisieren diese die Kräfte des Bewusstseins, die ins reich des Unbewussten gehen und ähnlich schreckenserregende Gestalt wie die Mächte des Unbewussten annehmen, um ihnen Meter für Meter abzuringen, den Rivalen zu besiegen und ihn zu einer Macht des Lichts zu machen.
In manchen Mandalas sind nicht die Gottheiten abgebildet, sondern nur die Keimsilben derselben. Diese Werke haben denselben Effekt.
Die Gottheiten sind Symbole, in denen das Bewusstsein den Wirrwarr der Kräfte fixiert, die in der Psyche auftauchen und sich widersprechen. Sie werden laut Tantra in den Zwischenwelten und in der Meditation subjektiv aber als real erfahren. Im Zuge einer immer größeren Erkenntnis tauchen sie in immer subtilerer Form auf.
Die oft furchterregenden Gottheiten des Mandala sind ikonographisch äußerst genau fixiert. Sie entsprechen den Visionen der Meditierenden, schaffen Raum zur Läuterung des Unbewussten und versinnbilden die Methoden der nicht-tantrische Lehren.

In diesem Kontext sind auch die blutrünstigen und schrecklichen Götter als archetypische Bilder aus der Tiefe der Seele zu sehen, die nicht außerhalb der Seele als böse Mächte projiziert werden, sondern in eine Vision von Heiterkeit integriert sind und den Befehlen des Adepten gehorchen. So können die „Gespenster“ erkannt und befreit werden. Der Praktizierende hat vor sich ein Diagramm, das ihm die Geheimnisse der Dinge und seiner selbst erschließt. Das Ineinander von Bildern und ihre symmetrische Disposition, der Wechsel drohender und friedlicher Gestalten ist das offene Buch der Welt und ihres Geistes. Wo vorher Nacht herrscht, ist jetzt das Licht“ (Tucci)

Das Mandala im Körper oder der esoterische Yoga
Durch die Analogie von Mikro- und Makrokosmos wird es möglich, auf die Projektion des kosmischen Dramas in ein Mandala zu verzichten und es in ein inneres Mandala im Körper des Adepten zu verschieben. Dies ist in der fortgeschrittenen Praxis auch tatsächlich der Fall.
Für den Weg der Erlösung braucht der Schüler seinen ganzen Willen. Er muss die Kräfte der Psyche in Bewegung setzen. Der Weg dazu ist Yoga, vor allem der Hatha-Yoga, der sich nicht gegen den Körper wendet, sondern ihn als Weg zur Befreiung einsetzt.
In den gnostischen Schulen erfuhr der Körper eine Neubewertung, die oft der Körperfeindlichkeit früherer Doktrinen komplett gegenübersteht. „Ohne den Körper erreicht der Mensch keine Ergebnisse“ (Rudrayamala) „Wie kann es Seligkeit geben ohne einen Körper?“ (Hevajra Tantra)
Der Körper ist gewissermaßen ein Gleichnis, das man verstehen und lösen muss, dann geschieht Befreiung von selbst.
Im Wesentlichen passiert das in den gnostischen Schulen Indiens durch das Zwingen der Winde in den Zentralkanal. Dies kann unterschiedlich heißen und verschiedene Details zeigen. Das Gemeinsame ist der Aufstieg einer enormen und transformativen Kraft durch den subtilen Zentralkanal in der Körpermitte. Nach dem Aufstieg und Integration folgt der Abstieg dieser Kraft, der versinnbildlicht, wie sich das gewonnene nonduale Bewusstsein wieder in die „Niederungen“ dieser Welt einfügt.