Yoga

Yoga ist ein vielschichtiger, in der indischen Kultur wurzelnder Weg zur Selbsttranszendenz. Yoga ist das praktische Destillat von vielen Jahrtausenden indischer Genialität und hat im Laufe der Zeit viele Formen durchwandelt.
Wörtlich bedeutet Yoga Vereinigung oder Integration. Im Grunde geht es um die Einswerdung der individuellen Einzelseele mit der kosmischen All-Seele. Für diese Erfahrung, die Ziel der spirituellen Bemühungen ist, haben die indischen Yogis viele Ausdrücke gefunden, am bekanntesten ist Samadhi.
Dieser Seinszustand wird vielfach auch Sat-Chit-Ananda genannt, das gleichzeitige Auftreten von Wahrheit, Bewusstsein und gefühlter Glückseligkeit.

Yoga-Sutra des Patanjali

Jahrhunderte lang galt das Zurückziehen der Sinne von der äußeren Welt und die Realisierung einer immer umfangreicheren inneren Welt als Grundvoraussetzung für die Erfahrung der Ekstase. Der indische Weise Patanjali hat in seinen knapp gehaltenen Yoga-Sutras, die zwischen 200 v.u.Z. und 500 u.Z. datiert werden, Yoga als achtgliedrigen Pfad formuliert.

Die acht Glieder sind folgende:
Yama- Ethik
Niyama- Selbstdisziplin
Asana – Yoga-Positionen, Körperdisziplin
Pranayama – Atemübungen, Atemdisziplin
Pratyahara – Zurückziehen der Sinne
Dharana – Konzentration
Dhyana – Meditation
Samadhi - Versenkung

Die acht Glieder des Yoga bauen aufeinander auf und führen, korrekt ausgeführt, systematisch zu hohen spirituellen Zuständen. Wer mit den Asanas und Pranayama beginnt, sollte vorher Yama und Niyama in sein Leben integriert haben. Das letztendliche Ziel ist Samadhi, die völlige Ruhe des Geistes.

Die 5 Yamas sind:
Ahimsa: Nichtverletzen, Liebe und Respekt gegenüber den Wesen
Satya: Wahrhaftigkeit in Gedanken, Worten und Taten
Asteya: Nicht stehlen, nicht nehmen, was einem nicht gegeben wird
Brahmacharya: Kein sexuelles Fehlverhalten
Aparigraha: Unbestechlichkeit, sich nicht manipulieren lassen

Die 5 Niyamas sind:
Saucha: Reinheit bezüglich Körper, Rede, Gedanken, Ernährung, persönlicher und beruflicher Umgebung
Santosha: Zufriedenheit entwickeln, Bestrebung aus allem das Beste zu machen, mit dem sein, was ist
Tapas: Disziplin, Askese, das tun was nötig ist ohne Murren
Svadhyaya: Selbststudium, Introspektion, Schattenarbeit, Studium der Schriften
Ishvara Pranidhana: Hingabe ans Göttliche

Andere Yoga-Pfade
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich unterschiedliche Zweige des Yoga herausgebildet. Patanjalis Weg, der vor allem auf Meditation und Geisteskontrolle fokussiert, wird Raja-Yoga, königlicher Weg, genannt. Die klassischen indischen Schriften erwähnen noch den Bhakti-Yoga, den Pfad der Hingabe an das Göttliche, den Karma-Yoga als Pfad des selbstlosen Handelns und Tätigseins, sowie den Jnana-Yoga, den Yoga der Erkenntnis.
Die wichtigsten Philosophien, die hinter dem praxisorientierten Yoga-Pfad stehen, sind die dualistische Samkhya-Lehre und die monistische, nicht-duale Vedanta- Lehre.

Tantrischer Yoga

Tantra kann als ein spezifischer Yoga-Pfad aufgefasst werden, der nicht konform mit den Veden bzw. dem Vedanta ist. Die Idee der Nicht-Dualität, die im Vedanta formuliert wurde und sich gegenüber dem dualistischen Samkhya-System im Großen und Ganzen durchgesetzt hat, wird im tantrischen Zugang radikalisiert: wenn ohnehin alles göttlich ist, wieso dann nicht auch den physischen Körper, das Vergnügen, die Sinneslust, die Emotionen und die Schattenbereiche des Menschlichen? Tantra macht sich auf den Weg, auch diese auszuloten und zu vergöttlichen, nichts auszuklammern aus der nicht-dualen Sicht.

Ich würde heute Tantra als den Yoga der Magie bezeichnen, der nichts Menschliches scheut und dem in seiner Radikalität nichts fremd ist. Die Tantrikas sind sich auch nicht zu gut dafür, auch weltlichen Erfolg für sich in Anspruch zu nehmen und als Teil ihrer Praxis anzusehen.
Aus dem Tantra entwickelte sich im Umfeld der Nath-Tradition der Hatha-Yoga, der Yoga der Kraft“ bzw. der „Yoga von Sonne und Mond“. Diese Entwicklung ist stark mit der halbmystischen Gestalt des Gorakhnath verbunden,
Die Entwicklung des Hatha-Yoga hängt eng mit der Person des Gorakhnath zusammen, der als halbmythologische Gestalt im 11.Jh. gelebt haben soll und dessen Guru Matsyendranath der tantrischen Kaula-Tradition entstammt.

Hatha-Yoga: ein Yoga tantrischen Ursprungs
Gorakhnath und seine Anhänger sahen sich als Reformatoren, die die ihrer Ansicht nach rituell und religiös überladene Tantra-Tradition entschlacken und aufs Wesentliche reduzieren wollten: die Arbeit mit dem Körper und die möglichst schnelle und effiziente Kundalini-Erweckung. Für diese bräuchte es keiner übermäßigen religiösen Rituale. Außerdem sei die zu große Frauenverehrung auch unnötig.

Die wichtigsten heute überlieferten Texte sind die Hathayoga-Pradipika aus dem 15. Jh.  sowie die Gheranda-Samhita und die Shiva-Samhita. Sie stellen vor allem technische, nicht philosophische Abhandlungen dar.

Der Hatha-Yoga, der eine Rückkehr zur Askese bedeutete, ließ sich mit dem indischen Establishment viel leichter vereinbaren als die wilde und unangepasste linkshändige Tradition. Schließlich konnte Hatha-Yoga stark mit dem Raja-Yoga verschmelzen.
Der Hatha-Yoga respektiert Patanjalis Einteilung, legt aber auf andere Dinge Wert: den Yamas und Niyamas wird weniger Bedeutung zugemessen, die Asanas hingegen erfahren zentrale Betonung. Die höchste Stufe, Samadhi, wird mit der Kundalini-Erfahrung gleichgesetzt.

Für einige Kenner der Materie ist der Hatha-Yoga Teil der tantrischen Sadhana, der göttliche Körper soll jetzt statt durch die Gnade der Göttin durch Beherrschung des Körpers und des Atems erreicht werden. Andere sehen ihn als Weg, für den sich nur wenige eignen.

Hatha-Yoga heute

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich der Hatha-Yoga zu einer Lehre weiterentwickelt, die auch für Anfänger und leicht Fortgeschrittene gewinnbringend anwendbar ist, im Sinne von Körperertüchtigung, Entspannung und Vorbereitung zu Meditation.
In diesem Sinne ist der Hatha-Yoga auch für westliche Menschen von heute sehr geeignet. Seine harmonisierende und beruhigende Wirkung auf Körper, Geist und Seele ist mittlerweile ausreichend erwiesen und dokumentiert. Schon mit einer Übungspraxis von 20 Minuten am Tag können sich viele positive Ergebnisse einstellen. Hatha-Yoga-Übungen verbessern die Gesundheit, stärken das Immunsystem, können Stress abbauen, führen zu tieferer Entspannung, zu mehr Energie, geistiger Klarheit und bereiten auf tiefer gehende Yoga-Praxis vor.

Hatha-Yoga-Übungen stehen im Einklang mit einer tantrischen Lebensweise, sind fast schon eine Voraussetzung derselben. Es sollte eine Routine aufgebaut werden der täglichen Übung, zwischen 10 min. und einer Stunde.
In der tantrischen Tradition gibt es den Brauch, bei Yoga-Übungen oder Ritualen nackt, oder, wie es im Indischen heißt, raumbekleidet zu sein. Beim traditionellen Üben im indischen Kulturkreis nahmen bis zum 20.Jh. nur Männer teil. Sie waren dabei meist nur mit einem spärlichen Lendenschurz bekleidet. Heutzutage wird beim Hatha-Yoga meist ein knapper Sportdress getragen, um keine erotischen Assoziationen zu wecken.

Bedeutung des physischen Körpers

Der menschliche Körper erreicht im Hatha-Yoga eine im indischen Denken einzigartige Bedeutung. Statt Quelle der Schmerzen zu sein, wie in der upanishadischen Zeit, wird er zu einem vollendeten Werkzeug für den Menschen, um den Tod zu besiegen  Der Körper soll so lange wie möglich in vollkommenem Zustand erhalten werden.
Idee des Tantra und Yoga ist es, den eigenen Körper als heiliges Gelände der Gottheit zu betrachten und zu verehren. Der Tempel des Körpers sollte rein, gesund und harmonisch gehalten werden. Man sollte keine Mühe scheuen, der Gottheit im Tempel des Körpers völlige Befriedigung zu sichern.
Hatha-Yoga ist ein System von Körperübungen, die den Körper und den Geist stärkt, gesund macht und erhält. Diese haben das Ziel, verborgene Kräfte im Körper wecken und harmonisieren und ihn so optimal auf die Phasen der Meditation einzustimmen.

Asanas und körperliche Übungen

In der heutigen westlichen Welt sind vor allem die Asanas, die Körperpositionen des Hatha-Yoga bekannt. Damit sind verschiedene unterschiedlich überlieferte Körperpositionen gemeint, die in der Regel lange gehalten werden sollen. Ziel ist es, sich in diesen teilweise schwer zu meisternden Positionen völlig zu entspannen und zu meditieren.
So kann man bestimmte Kraftsätze für die entsprechenden Asanas affirmieren oder mit Chakra-Konzentration arbeiten.
Im 20. Jh. hat sich eine immer unübersichtlichere Vielzahl von Hatha-Yoga-Schulen entwickelt, die vielfach für sich in Anspruch nehmen, die einzig authentische Form zu sein. Darüber hinaus hat sich der Hatha-Yoga auch mit den anderen Yoga-Formen vermischt, so mit dem Bhakti-Yoga, dem Raja-Yoga oder dem Karma-Yoga. Swami Shivananda hat einen abgestimmten, mild asketischen Yoga-Weg hinterlassen, der alle traditionellen Yogas zusammenfasst und dies „integralen Yoga“ genannt.

Im klassischen Hatha-Yoga haben die sechs Reinigungen eine große Bedeutung: tratak, neti, kapalabhati.dhauti, nauli und basti. Sie sollen regelmäßig praktiziert werden, um die Organe rein und gesund zu erhalten.
Die 9 Öffnungen werden als Tore zu diesem Tempel betrachtet: Anus, Geschlecht, mund, 2 Augen, Nase, 2 Ohren sowie die Fontanelle. Die Öffnungen sind auch besonders sauber zu halten und wertzuschätzen.
Der Hatha-Yoga im engeren Sinne befasst sich auch mit den Zentren von Sonne und Mond im Körper. Die Sonne wird dabei vor allem in der Bauchgegend, speziell im Sonnengeflecht lokalisiert, der Mond in der Kopfgegend, vor allem Stirn oder Scheitel. Manche yogische Übungen tantrischer Natur lassen die Hitze der Sonne nach oben steigen, um dort Mond-Tropfen zu aktivieren, die kühlend nach unten fallen und so einen wonnevollen Kreislauf anregen.
Erwähnt werden muss noch die Stelle die kanda, der so genannten Wurzelknolle, die im Dammbereich (bei Frauen im unteren Bereich der Yoni) sitzt und als Ursprung der nadis gilt. Kanda ist als Ort der Erdung sehr wichtig.

Pranayama
In Indien hat sich das Konzanpt einer Lebensenergie weithin durchgesetzt, die Prana genannt wird und mit dem Atem gleichzusetzen ist. Prana teilt sich in fünf Unterströme, die alle durch bestimmte Methoden aktiviert und gesteuert werden können, um dadurch Gesundheit, Wohlbefinden und spirituelle Entwicklung zu erfahren.
Die Technik der Atemkontrolle wird im Sanskrit Pranayama genannt. Es gilt als eine zentrale Methode des Yoga und wird im Raja-, im Hatha- und Kundalini-Yoga sowie in den meisten Tantra-Systemen ausführlich praktiziert. Die Kontrolle des Atems soll die Nervenströme reinigen und die feinstofflichen Zentren beleben.

Weil Pranayama am Grenzbereich von Bewusstem und Unbewusstem arbeitet, erzeilt der Yogi damit massive Wirkungen in allen Bereichen. So gilt Pranayama als einer der Königswege zur Kundalini-Erfahrung.
Pranayama ist vielleicht eine der ältesten und wichtigsten Techniken zur Erweiterung des Bewusstseins.Die Yoga-Tradition hat dafür systematische Techniken mit Beachtung von Ort, Dauer, Geschwindigkeiten, tiefe und Rhythmik des Atems entwickelt.

Es gibt verschiedene Arten des Pranayama. Die Hatha-Yoga-Pradipika erwähnt acht Kumbhakas: Bhramari, Suryabheda, Ujjayi, Sitkari, Sitali, Bhastrika, Murcha und Plavini.
Die Pranayamas unterscheiden sich durch die spezielle Eigenart des Einatmens, Anhaltens und Ausatmens. Sie aus Büchern zu lernen ist schwierig, in der Regel werden sie direkt von einem Lehrer erlernt und sollen mit großer Genauigkeit geübt werden.
Entscheidend ist in den meisten Formen, dass die Phase des Atemanhaltens verlängert wird: dies führt zu einer verstärkten Kontrolle des Geistes und schließlich zu paranormalen Fähigkeiten . Am Anfang sollte der Schüler nichts erzwingen, sondern durch regelmäßige Übung die Zeiten langsam steigern.
Pranayama führt zu einer Reinigung der vitalen und subtilen Kanäle (nadis) – eine wichtige Voraussetzung für späteres Kundalini-Yoga oder tantrische Arbeit mit „heißer“ Sexualenergie.
Fortgeschrittenes Pranayama wird immer mit Bandhas und Mudras durchgeführt. Beim Mula-Bandha versiegelt man die unteren Tore und kann damit den Fluss von apana stoppen, beim Jalandhara Bandha wird die Halsgegend versiegelt. Die Versiegelung des Zwerchfells heißt Uddiyana Bandha.

Das bekannte Pranayama der Wechselatmung hilft sehr, die drei Hauptnadis auszugleichen. Beim Anhalten des Atems öffnet sich sushumna, was die meditativen Fähigkeiten steigert.

Pranayama sollte nicht nach einer Mahlzeit oder nach schwerer Anstrengung stattfinden, am besten morgens oder am frühen Abend nach dem Hatha-Yoga und vor der Meditation

Es gibt gerade im tantrischen Kontext eine Vielzahl von Pranayama-Übungen, die den gesamten Wachstumsprozess des Sadhaka stark beschleunigen. Oft sind solche Atemtechniken Teil einer speziellen Einweihung in eine Tradition und nicht öffentlich zugänglich .
Hier sind vor allem die Techniken des so genannten Kriya-Yoga nach Babaji zu nennen. Diese Übungen, die pranayama, Bandha, Mudra, Visualisierungen und Meditation verbinden, sind tantrischen Ursprungs und sollen besonders effektvoll sein, die Kundalini-Kraft ohne störende Nebenwirkungen zu entwickeln.

Kundalini-Yoga

Eigentlich bezeichnet Kundalini nichts anderes als fortgeschrittenen Hatha-Yoga mit dem Ziel, die Befreiung über den Pfad der Energie zu erreichen.
Kundalini-Yoga könnte man definieren als die Praxis, seine persönliche Evolution zu beschleunigen mit Hilfe von Energieübungen

Die Yoga- und Tantra-Tradition kennen verschiedene Methoden und Ansätze zur Kundalini-Erweckung.

Nach der Shivananda-Tradition integriert Kundalini-Yoga verschiedene Aspekte des Yoga:
Hatha-Yoga, also Körperübungen und Pranayama
Mantra-Yoga, das Rezitieren spezifischer Klangschwingungen,
Nada-Yoga, Das Yoga des Hörens,
Yantra-Yoga, Meditation über machtvolle Bildvorstellungen
Laya-Yoga, Energiearbeit über Gefühlslenkung

Mehr über die Kundalini-Praxis finden Sie auf der Seite über Kundalini

Konzentration und Meditation

Meditation ist wesentlicher und essentieller Bestandteil des tantrischen Sadhana.
Tantra kennt sowohl die Saguna-Meditation, in der der Geist sich auf ein Objekt stützt, als auch die Nirguna-Meditation, in der man sich dem Formlosen hingibt.

Typisch für den tantrischen Weg sind jedoch in der Regel eher aktive Meditationen der Saguna-Art. Diese setzen fortgeschrittene Kenntnisse in Visualisation und Konzentration (dharana) voraus. Traditionelle Symbole dienen als Hilfsmittel oder Sammlung und zur Erinnerung an eine Wirklichkeit jenseits weltlicher Ablenkungen, das können Yantras, Mandalas oder dreidimensionale Skulpturen sein.
Das Bild einer Gottheit wird visualisiert, gewissermaßen äußerst genau auf eine Art innere Leinwand projiziert, mit geschlossenen Augen baut der Eingeweihte ein ikonographisch bis ins detail festgelegtes Bild der Gottheit auf, wie ein Handwerker, der ein minutiös ausgedachtes Bild als Skulptur umsetzt.
Dann vertieft er sich in dieses Bild und stellt sich vor, wie er schrittweise in diese Figur verwandelt wird

Eine andere Möglichkeit ist, die Achtsamkeit auf ein Mantra zu konzentrieren, das wiederum entweder laut oder leise wiederholt werden kann. In der Tradition gibt es auch viele Methoden, den Atem zu beobachten.

Eine Nirguna-Meditation wäre die innere Stille (Antar Mauna). Hier setzt man sich hin und beobachtet alles, was an Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen durch den Kopf geht. Nach und nach gelangt man so in einen inneren Raum, in dem die Stille herrscht und wo Gedanken nicht mehr hinkommen.

Das bekannte Vijnana-Bhairava-Tantra ist sozusagen ein tantrisches Meditationsbrevier. Es ist eine Beschreibung von 112 Übungen, die Shiva der fragenden Shakti offenbart, darunter Atemtechniken, Mantras, Bewusstseinsübungen, Kundalini-Yoga, sexuelle Übungen, Bhakti. Je nach persönlicher Vorliebe kann der Adept dann eine oder mehrere Praxen in seine Sadhana einbauen. Ziel aller Übungen ist, die Innerlichkeit des Bewusstseins zu erfahren, die reine Energie vor jeder Unterscheidung.

Was alle meditativen Techniken verbindet, ist, dass der Eingeweihte seine Energien in einem Kern sammelt und zum Zentrum der eigenen psychischen Kraft führt. So führt die Meditation zu einer Zentrierung, und als Folge davon, zur Erfahrung eines veränderten Bewusstseinszustands.

Shavasana und Yoga Nidra

Eine wichtige tantrisch-yogische Technik ist die Tiefenentspannung. Sie wird in der Regel in der Position des Shavasana (Totenlage) ausgeübt. Mit Hilfe von verschiedenen Suggestionen wird Körper und Geist in eine entspannende Tiefentrance versetzt. Eine solche Entspannung sollte immer nach einer Hatha-Yoga-Session stattfinden, sie kann aber auch als eigener Weg ausgeübt werden.
Eine Verfeinerung und Vertiefung hat Swami Satyananda Saraswati mit seiner Methode des Yoga Nidra (Schlaf des Yogi) kreiert. Über die Tiefenentspannung und Reisen durch Körper und Geist können verschiedene Zustände beim Ausübenden erreicht werden, bis hin zum Samadhi.

Traum-Yoga
Im tantrischen Buddhismus (möglicherweise auch im Hinduismus) gibt es spezielle Übertragungen, die einen Traum-Yoga praktizieren. Im wesentlichen geht es um kontinuierliche Bewusstheit bis in die Traum-Phasen hinein und die Errichtung komplexer Visualisierungen in der Traumphase. Diese Techniken sind vergleichbar mit der westlichen Technik des luziden Traums, möglicherweise im Ansatz sogar differenzierter und genauer.


Ernährung
Ernährung ist ein wichtiger Aspekt im Tantra und Yoga. In der Regel empfehlen Yoga-Schriften eine Sattva-bestimmte, maßvolle Ernährung: Milchprodukte, Honig, Nüsse, Früchte, Getreide und Gemüse. Zu große Askese im Essen und Hungerfasten wird ebenso abgelehnt wie Völlerei und maßloses Essen sowie schwer unverdauliche Speisen. Je nach Adhikara (z.B. nach ayurvedischem Typ) sollte der Sadhaka sich individuelle anders ernähren können. 
Eine gute Frage ist, ab Tantriker Vegetarier sein sollten. Da scheinen die Meinungen auseinander zu gehen. Makaja z.B. unterrichtet keine Schüler, die Fleisch essen und lehnt auch das Ritual der 5 M ab. Im buddhistischen Tantra tibetischer Prägung hingegen wird definitiv Fleisch gegessen. Satyananda Saraswati räumt ein, dass verschiedene Mystiker die Kundalini trotz Fleischessens erweckt haben, empfiehlt dies aber dennoch nicht.

Die Gheranda Samhita rät dem Yogi, auf saure, bittere, salzige und scharfe Speisen zu verzichten.
Im Falle von Kundalini-Yoga sollte die Nahrung besonders sorgfältig ausgewählt werden, da die Verdauung in diesen Übergangssituationen besonders belastet wird. Die Nahrung sollte gut gekocht sein und den Schwerpunkt bei Getreide, Hülsenfrüchten und Gemüse haben, also stark kohlenhydratbetont und relativ mild gewürzt, mit 5-6- Gewürzen. Die Nahrung sollte leicht sein und nur soviel wie nötig.

Tantra und Yoga heute

Vor allem durch die Schriften von Osho ist im Westen in den letzten 30 Jahren ein Gegensatz zwischen Tantra und Yoga konstruiert worden, der historisch und inhaltlich nicht begründbar ist – Yoga als männlicher, egobetonter Weg und Tantra als weiblicher, loslassender Weg.
Ursache ist Oshos Interpretation von Texten aus der Mahamudra-Tradition des tibetischen Tantra, die das Nicht-Tun in den Vordergrund rücken, sich aber an sehr weit fortgeschrittene, praxiserfahrene Jünger wenden.
Yoga und Tantra sollten Hand in Hand gehen – ein gutes Training in Yoga ist eine ideale Voraussetzung für den Tantra-Weg.

Obwohl Tantra und Yoga ursprünglich verbunden waren, gibt es diese Differenzierung schon und heutzutage besonders stark.
Yoga ist ein asketischer Weg, der die völlige Befreiung nicht dem Mann, der die Frau noch begehrt, zubilligt. Auch im rechtshändigen Tantra hat die Sexualität und Erotik an sich keinen Heilswert, während für Tantra – jedenfalls in seiner „starken linkshändigen Form“ die pure Lust auch schon „zur Hälfte transzendent“ ist (Jochen Kirchhoff). Die Aufgabe unserer Zeit wäre eine Integration von Yoga und Tantra, unter Vermeidung der Fallen Repression (Unterdrückung der Lebensimpulse) und Regression (Reduktion der Eros zum Simplen Bios und Verleugnung der spirituellen Dimension), wie es Ken Wilber sieht.

Zusammenfassung
Tantra ist eng mit der „Wissenschaft“ des Yoga verbunden. Der heute bekannteste Zweig des Yoga, der Hatha-Yoga, baut auf einer tantrischen Sichtweise auf.
Tantrischer Yoga betont die körperliche Gesundheit und Vollkommenheit. Die Stufen von Asana, Einnehmen von Körperhaltungen, und Pranayama, yogischen Atemübungen, sind besonders hervorgehoben.
Wesentlich und entscheidend ist jedoch das Kundalini-Yoga, also eine gezielte und stete Praxis zur Erweckung der Urenergie im eigenen Körper. Eine langjährige Vorbereitung und Reinigung scheint angebracht. Es gibt verschiedene Methoden der Kundalini-Erweckung, mit denen sich die indische Philosophie ausführlich beschäftigt hat.
Durch die Umkehrung und Anhaltung bestimmter Lebensprozesse wird der Körper mit Ojas angereichert, eine Form spiritueller Energie, die hilfreich zur Kundalini-Erweckung ist. Pranayama, Fasten, Schweigen, Zurückhaltung des Samens, sattvische Ernährung, ethische Lebensführung: all das gehört zum Programm des Kundalini-Yoga dazu. Wichtig ist die Begleitung eines kompetenten Lehrers, denn hier spielt man mit enormen Kräften.
In der modernen Welt hat sich zwischen Tantra, der Methode des Ekstatisch-Spontanen und Yoga, dem Weg des Willens und der Disziplin, ein Graben aufgetan, den zu schließen eine Kulturaufgabe wäre.